Zwischen Bild und Wort: Geschichten aus Zinn

Kunstausstellung mit Lesung. Der Event fand am 18. September 2025 im Eventraum der H.A. Rapold AG statt.

Bilder, die auf ihren Auftritt warten (Margrit)
die grossen Erdigen, die Blumigen,
die Wasserflächigen und Wiesengrundigen
Blütenköpfe silbern eingerahmt
Stengel zum Grunde hingezogen
unter Zinnhäubchen die Triebe
Wellen gebrochen von metallenen Streifen.

Gedicht (Susanne P.)

Ich sehe was, was du nicht siehst

Gras auf einer Wiese
Die Federn eines Pfaus
Den Atem eines Riesen
Die Beinchen einer Laus

Weiche Weidenkätzchen
Einen Wasserfall im Wald
Küsse von meinem Schätzchen
Ein silbernes Hochzeitskeid

Haiku (Tobias)
rot pink blau grün gelb
die Farbkreise verschwimmen
zwei Kerne aus Zinn

Kurztext (Susanne)
Es schimmert in leuchtenden Blütenscheiben, pink auf orange auf blau auf grün, mit Silbertropfen, man kann sich nicht sattsehen. Doch irgendwo gibt es eine Sommerwiese, in der jetzt ein Quadrat fehlt.

Haiku (Tobias)
Damit wir den Wald
vor lauter Bäumen sehen
braucht es Zwischenraum

Haiku (Dorothe)
Wenn die Birke bricht
Wie der fünfte Strich beim Jassen
Verbindet eins und vier

Kurztext (Susanne)
“Gehst du mit mir in den kühlen Birkenwald?” fragt Eva. “Da ist es so silbrig.” Hans kommt mit. Sie sitzen auf einem Baumstamm und lauschen, was die vielen Münder der Birkenstämme zu erzählen haben von Paaren, die vorher hier sassen.
“Sie hat ihn geliebt, aber er hatte noch eine andere”, erzählt das Plappermaul neben ihnen, “aber das Herz, das er in meine Rinde geschnitten hat, ist wieder zusammengewachsen.”
Hans will aufstehen und gehen, doch Eva besteht darauf, dass sie bleiben, bis sie alle Geschichten gehört haben. Das geht bis spät in die Nacht, und die Sterne funkeln schon am violetten Firmament, als der letzte Baum-Mund seine Geschichte beendet mit den Worten: “und sie lebten glücklich bis an ihr seliges Ende, aber nicht zusammen.”
Hans ist inzwischen längst eingeschlafen, und Eva beschliesst, ihn zu heiraten. Wenn keine dieser Unglücksgeschichten ihn ihm ein Echo gefunden hat, überlegt sie, wird er bestimmt ein verlässlicher Ehemann. Vielleicht etwas langweilig, aber für wilde Geschichten kann sie ja immer wieder in den Birkenwald zurückgehen.

Kurztext (Tobias)
Dein blaues Hemd, sagte Louise, passt perfekt zum Wasser des kleinen Tümpels. Kurt antwortete nicht. Er hatte nur Augen für die gerade hochgeschossenen Birkenstämme und merkte noch nicht mal, dass sich die Heidelbeerhecken zwischen den Bäumen farblich perfekt an Louises Sommerkleid angepasst hatten.

Text (Dorothe)
Wenn du lange genug zwischen den Birken hindurch blickst,
erkennst du, wie Sonne und Mond sich grüssen.
Dann glitzert es silbern vom hellen Weiss der Rinde bis zum Liebespaar.

Kurztext (Susanne)
Du bist dünn wie ein Strich, sagen alle, trainier dir doch ein paar Muskeln an! Aber da denkt wieder keiner daran, wieviel Zinn das kosten würde.

Text (Dorothe)
Zoobesuch
An ihrem 11. Geburtstag zwinkert Mia im Zoo zum ersten Mal ein Augenbrauensittich zu. Vor Glück tanzt sie durch den Schmetterlingsschwarm zum Trampeltiergehege. Unterwegs wirft sie den Piranhas ihr Gipfeli ins Wasser. Bevor der Vater sie deswegen ausschimpfen kann, eilt dieser dem Pudel nach, der sich eben mit dem Lama anfreundet. Es dauert, bis der Vater Mia bei den Kurzrüsselschweinen entdeckt und sie heimkehren.
In der Nacht träumt Mia vom Augenbrauensittich.

Haiku (Tobias)
Die Stadt sortiert sich
den Hügel hinauf
von einer Blume beschienen

Haiku (Dorothe)
Farbiger Strassenzug
Giess meine Zukunft in Zinn
Das bringt mir Glück

Text (Dorothe)
Apfelbaum
Es heisst, dass hinter den sieben Bergen zwei Apfelbäume wachsen.
Einer trägt silberne Äpfel, der anderen silberne Blüten.
Wenn du daran vorbeischreitest und ein Apfel oder eine Blüte fällt dir in den Schoss, wird dir jeglicher Wunsch erfüllt.

Text (Tina)
Wie Zwillinge stehen sie nebeneinander, die Apfelbäumchen, schon ihr Leben lang. Doch was wie eine traute Gemeinsamkeit aussieht, begann einst als Zwangsgemeinschaft. Bauer Apfelmost hatte die Bäumchen zur Vermählung seiner jüngsten Tochter Clara mit Fritz, dem Sohn des reichen Nachbarn Wiesendung, gesetzt. Die Grenze der beiden Grundstücke verläuft, man kann es sehen, exakt zwischen den beiden Bäumchen.
Über die Jahre gedieh Fritzes Baum, wie könnte es anders sein, besser als jener von Clara. Er wuchs kräftig heran, während Claras Baum alle Kraft in die Produktion von ebenso köstlichen wie empfindlichen Äpfeln steckte. Schon im Sommer erfreuten die Clara-Äpfel die grosse, aus der unfreiwilligen Verbindung hervorgegangene, Kinderschar.
Mit der Zeit erinnerte sich niemand mehr daran, dass das hier wirtschaftende Paar einst zur Ehe hatte überredet werden müssen – ausser Clara. Wenn von Westen her ein Unwetter aufzog, und sich der Himmel über den Bäumen bedrohlich gelb und grau färbte, dann wünschte sich Clara einen Blitz herbei, der, wir wissen es, den grösseren der beiden Bäume treffen würde, und so der scheinbaren Idylle endlich ein Ende setzen würde.

Kurztext (Susanne)
Ach schau, ich bin im Bild! Das da bin ich, die zweite Blume von rechts, mit Silbersträhnchenlocken im Grau, und meine Blattsilhouetten kommen wunderbar zur Geltung. So schlank und elegant sehe ich im Spiegel nie aus, kann ich das Bild bitte kaufen?

Kurztext (Susanne)
Wenn Herzen am Baum hängen, kann man sich bedienen, denkt sie und nimmt gleich zwei. Es ist immer gut, wenn man eine Reserve hat.

Gedicht (Susanne P.)

Schubsengel

Ein Engel hat mich gemalt
und auf eine Wolke gesetzt
und sagt mir nun
dass ich fliegen soll.

Ich nehme mein blaues Herz in die Hand
und die Federn aus Licht
und springe